27.10.2019

Modernes professionelles Biofilmmanagement

Wenn sich bestimmte Bakterien auf den Zähnen ansiedeln, entsteht Plaque. Dieser bakterielle Zahnbelag muss regelmäßig entfernt werden, um Karies, Zahnfleischentzündung oder sogar Parodontitis vorzubeugen. Dr. Nadine Strafela-Bastendorf und Dr. Klaus-Dieter Bastendorf, Eislingen, berichten, wie Zahnärzte Biofilmmanagement professionell durchführen.

Hippokrates (460–377 v. Chr.) stellte bereits fest, dass es schön ist, für die Kranken besorgt zu sein, ihrer Gesundheit wegen; dass es aber viel schöner ist, für die Gesunden besorgt zu sein, ihres Nichterkrankens wegen! Leider waren die Medizin und die Zahnmedizin auf dem Auge der Prävention bis in die Neuzeit blind. Medizin und Zahnmedizin waren bzw. sind geprägt von der Therapie von Krankheiten.

In der Zahnmedizin gilt seit dem Mittelalter ein Ursachen-Wirkprinzip. So widmete bereits Al-Tasrif von Albucasis (Abu el Quasim, Cordoba) (963 bis 1013) in seinem Buch „De chirurgica“ ein Kapitel der Behandlung parodontaler Erkrankungen. Als Ursache wurde Zahnstein identifiziert und dieser wurde durch „Schaben an Zähnen bis es klirrt“ entfernt (Lit. Nr. 1). Sowohl sub- als auch supragingivaler Zahnstein (vom Mittelalter an) und mit Bakterientoxinen infizierter Zement (letztes Jahrhundert) waren als Ursachen der Zahnerkrankungen vor allem der Parodontitis postuliert. Folglich war die Entfernung von Zahnstein und infiziertem Zement die Therapie der Wahl. Selbstverständlich waren auch die therapeutischen Hilfsmittel, allen voran Handinstrumente, an dieser invasiven Therapie optimiert ausgerichtet.

Die Prävention hielt trotz der wegweisenden Arbeiten von Axelsson und Lindhe vor ca. 50 Jahren nur zögerlich Einzug in den Praxisalltag. Axelsson und Lindhe zeigten, dass mit einem systematischen Ablaufprotokoll (Recallstunde nach Axelsson/Lindhe) und dem Zusammenspiel von häuslicher und professioneller Prophylaxe Karies vermeidbar und Parodontitis kontrollierbar ist (Lit. Nr. 2, 3, 4).

Was ist neu?

Der Weg von mineralisierten Ablagerungen als Ursache von Zahnerkrankungen weg begann mit Antoni van Leeuwenhoek (1676). Er war nicht nur der Erfinder des Mikroskops, er war auch der erste, der Zahnerkrankungen mit Bakterien in Verbindung brachte. Er beobachtete mit seinem Mikroskop, dass im Zahnbelag bewegliche „Teile“ zu sehen waren.

Löe und Silness (1963–1965) postulierten aufgrund ihrer bahnbrechenden Arbeit zur experimentellen Gingivitis die sogenannte „unspezifische Plaquehypothese“. Für die Entstehung der gingivalen/parodontalen Entzündung spielt die Plaquemenge (Quantität der Bakterien) die entscheidende Rolle (Lit. Nr. 5).

1976 stellte Lösche anhand der Ergebnisse seiner Arbeiten eine neue Plaquehypothese, die „spezifische Plaquehypothese“, auf. Nicht mehr die Quantität, sondern bestimmte parodontal pathogene (spezifische) Bakterien (Qualität der Bakterien) sollten für die parodontalen Erkrankungen verantwortlich sein. In seinen Arbeiten finden sich auch erste Hinweise auf die Bedeutung der Wirtreaktion für parodontale Erkrankung (Lit. Nr. 6).

1980 führte J. W. Costerton den Begriff Biofilm ein, den er wie folgt definierte: „Biofilm ist eine mikrobiell entstandene, sessile Gemeinschaft, charakterisiert durch Zellen, welche irreversibel an eine Oberfläche, eine Grenzfläche und aneinander geheftet sind, die in einer Matrix aus extrazellulären polymeren Substanzen, die sie produziert haben, eingebettet sind. Auch die dentale Plaque ist ein Biofilm“ (Lit. Nr. 7). Seinen Arbeiten ist es zu verdanken, dass nicht mehr proteolytische (einzelne) Bakterien, sondern ganz anders funktionierende Bakteriengemeinschaften für Zahnerkrankungen verantwortlich gemacht werden. 2006 fasste Marsh alle neuen Erkenntnisse zum Verhalten von Bakterien in seiner „ökologischen Plaquehypothese“ zusammen (Lit. Nr. 8). Es findet eine ökologische Verschiebung (Veränderung des Habitats) der Keime im Biofilm zugunsten von „Spezialisten“ statt. Die Aktivität des Biofilms (ökologische Bedingungen im Biofilm) spielt die entscheidende Rolle. Die „ökologische Plaquehy pothese“ gilt seit 2006 als allgemein anerkannte Hypothese für Zahnerkrankungen.

Heute wissen wir, dass auch diese Vorstellung zu einfach ist. Das Verständnis für das Entstehen und Fortschreiten von Zahnerkrankungen (v. a. Parodontitis) erfordert ein viel komplexeres Verständnis. Biofilm ist ursprünglich physiologisch. Durch die Störung der Homöostase (Symbiose) im Biofilm entwickelt sich eine Dysbiose. Der Biofilm wird pathogener und verändert seine Eigenschaften. Bakterien im Biofilm von gesunden und an Parodontitis erkrankten Patienten verhalten sich ganz unterschiedlich. Zusätzlich können kommensale, aber auch apathogene Bakterien (z. B. Prevotella nigrescens/Fusobacterium nucleatum) sich im Biofilm von erkrankten Patienten hochpathogen verhalten (Lit. Nr. 9).

Noch vor ca. 25 Jahren stand die chirurgische Parodontitistherapie im Vordergrund. Die Wurzeloberfläche wurde nach Bildung eines mehr oder weniger invasiven „Lappens“ unter Sicht “vollständig instrumentiert“. Auch in der Nachsorge (Recall) wurde überwiegend mit aggressiven (scharfen) Handinstrumenten gearbeitet. Zahnsteinentfernung war die einzige gesetzlich präventive Leistung. Die Entfernung von weichen Belägen (Biofilm) war nicht vorgesehen.

Ausgehend von der modernen ökologischen Plaquehypothese, die besagt, dass Gingivitis, parodontale Erkrankungen und Karies sowie auch die periimplantären Erkrankungen durch eine Störung der Homöostase des oralen Biofilms, nämlich durch eine selektive Begünstigung potenziell pathogener Mikroorganismen verursacht werden, hat sich ein besseres Verständnis des Biofilms etabliert. Gleichzeitig wurde die „unterstützenden Parodontitistherapie“ (UPT) implementiert. Nun verschob sich die Gewichtung von der chirurgischen zur geschlossenen Therapie und der langfristigen Biofilmkontrolle (Erhaltungstherapie mit Biofilmmanagement). Auch die Bedeutung der Schonung der Zahnhartsubstanzen und Weichgewebe wurde in den Vordergrund gerückt.

Die Ziele, Hilfsmittel und das Ablaufprotokoll zur Zielerreichung mussten neu definiert werden, da nicht mehr das Entfernen von harten Ablagerungen, sondern das Biofilmmanagement (weiche Ablagerungen) im Vordergrund steht.

Ziele 

Die neuen Ziele sind nicht mehr nur auf die Reinigung, sondern auch auf die Substanzschonung, den Patienten- und Behandlerkomfort fokussiert. Zusammengefasst lassen sich die neuen Ziele wie folgt definieren: - Biofilme durch gesteuerte Reinigung reduzieren - Biofilme durch gesteuerte Neubesiedlung modifizieren - Schaffung einer dauerhaften Homöostase - Substanzschonung (Erhaltung der Zahnhartsubstanzen und des Weichgewebes) - Maximaler Patienten- und Behandlerkomfort

Hilfsmittel

Lange Zeit wurden nicht nur tiefe Taschen, sondern auch flache Taschen mit scharfen Handinstrumenten therapiert. Maschinelle Instrumente galten als unpräzise und spielten eine untergeordnete Rolle. Lassen sich die oben genannten neuen Ziele mit den klassischen Hilfsmitteln (Handinstrumente und klassische Oberflächenpolitur) erreichen? Brauchen wir neue Hilfsmittel, um die oben definierten Ziele zu erreichen?

Handinstrumente

Zahnoberflächen können mit Handinstrumenten von harten und weichen Ablagerungen gereinigt werden. Die korrekte Anwendung von Handinstrumenten ist technisch anspruchsvoll, erfordert ein gutes taktiles Gefühl und eine lang dauernde Aus- und Fortbildung. Die Behandlung selbst ist sehr zeitaufwendig, für den Behandler anstrengend, in tiefen parodontalen Taschen bei nichtchirurgischem Vorgehen unzuverlässig. Sie führt häufig zu Zahnhalsüberempfindlichkeiten, zu ästhetisch auffälligen parodontalen Rezessionen, zu Zahnhartsubstanzverlust und es werden viele Instrumente benötigt. Diese müssen regelmäßig gewartet werden (Instrumentenschleifen). Handinstrumente sind bei Patienten nicht beliebt (kein Patientenkomfort) und führen auch bei den Mitarbeitern oft zu überbelasteten Sehen und Bändern an den Händen und Armen.

Klassische Politur

Mit der klassischen Politur mit rotierenden Instrumenten, Polierbürsten, Gummikelchen und Polierpasten ist eine Entfernung von Biofilm und Verfärbungen an Hartsubstanzen oberhalb der Schmelzzementgrenze beschränkt möglich. Die Nachteile der unvollständigen bzw. schwierigen Reinigung mithilfe der klassischen Politur zeigen sich besonders in engen Zahnzwischenräumen, in Interdentalräumen, im sulkulären Bereich, in der Tiefe der Fissur, bei festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen und an Implantaten (Lit. Nr. 10, 11, 12). Auf freiliegenden Wurzeloberflächen ist die klassische Politur aufgrund der Abrasivität der Hilfsmittel kontraindiziert. Eine Biofilmentfernung unterhalb der Schmelzzementgrenze ist nicht möglich.

Schall- und Ultraschallinstrumente

Ein großer Fortschritt ist der Einsatz von Schall- und Ultraschallinstrumenten im Vergleich zu Handinstrumenten (Lit. Nr. 13, 14, 15): - Die Anwendungstechnik ist leicht erlernbar
- Die Instrumente erlauben ein ermüdungsfreies und damit physiologisch günstiges Arbeiten bei geringer Anpresskraft - Die Instrumente ermöglichen ein atraumatisches Arbeiten mit grazilen Instrumenten (weniger raue Oberflächen und geringer Substanzverlust bei Wurzelzement und Dentin) - Ein weiterer Vorteil ist die kontinuierliche Spülung des Arbeitsfeldes - Es bestehen keine Unterschiede beim Vergleich der klinischen Parameter zwischen Handinstrumenten und Ultraschallinstrumenten bei Patienten mit Taschen bis zu 6 mm - Es gibt funktionsspezifische Instrumente, die den individuellen Verhältnissen angepasst sind (subgingivaler Zugang ohne Gewebetrauma, Furkationen usw.) - Die Instrumente bieten einen höheren Patienten- und Behandlerkomfort

Ein weiterer wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt war die Einführung substanzschonender piezokeramischer Ultraschallgeräte in den 1980er Jahren. Nur diese Technologie lässt lineare, fast schmerzarme Bewegungen zu (Lit. Nr. 16). Ein Konsensuspapier (Lit. Nr. 17), das während der EuroPerio in Wien 2012 zum Thema „Piezokeramische Ultraschalltechnologie“ veröffentlicht wurde, lässt sich wie folgt zusammenfassen: - Bei der maschinellen Belagsentfernung haben sich piezokeramische Technologien bewährt - Sie sind universell (supra- und subgingival) zur Entfernung von mineralisierten Belägen und bakteriellem Biofilm einsetzbar - Sie sind gewebeschonend - Sie ermöglichen verkürzte Behandlungszeiten (Ökonomie) - Sie sind schmerzärmer (Patientenkomfort) - Sie sind nach kurzer Einarbeitungszeit einsetzbar

Airflow

Mit der Einführung niedrigabrasiver Pulver in die Pulver-Wasserstrahltechnik im Jahr 2003 (Lit. Nr. 18, 19) wurden die Indikationen für die Anwendung der Airflow-Technologie vom supragingivalen Airflow auf das subgingivale Airflow ausgeweitet. Die Literatur zu glycinbasierten Pulvern lässt entsprechend dem Konsensuspapier (Lit. Nr. 17), das anlässlich der EuroPerio in Wien 2012 veröffentlicht wurde, wie folgt zusammenfassen: - Die Indikation konnte durch die Entwicklung neuer glycinbasierter Pulver ausgeweitet werden von nur supragingivaler zu subgingivaler Biofilmentfernung - Subgingivaler Biofilm kann mit glycinbasierten Pulvern besser und in kürzerer Zeit entfernt werden (Effizienz) - Subgingivales „Airpolishing“ mit glycinbasierten Pulvern ist zuverlässig und sicher, angenehm für Patienten (schmerzärmer), gewebeschonender und leicht erlernbar

Seit 2011 gibt es durch die Einführung erythritolbasierter Pulver (EMS Air-Flow® Plus Pulver) eine Alternative zu glycinbasierten Pulvern. Die umfangreiche Literatur des erythritolbasierten Pulvers lässt den Schluss zu, dass das Erythritol in allen klinischen Werten dem Glycin mindestens gleichwertig, in den mikrobiologischen Parametern deutlich überlegen ist (Lit. Nr. 20, 21). Ein weiterer großer Vorteil liegt im Einsatzgebiet. Erythritol kann sowohl supra- wie auch subgingival effektiv eingesetzt werden. Die supragingivale Entfernung von Biofilm und Verfärbungen geht mit Erythritol wesentlich effektiver und schneller. Erythritol hat neben dem mechanischen Effekt auch eine biochemische Wirkung (Lit. Nr. 22).

Vergleich der Hilfsmittel

Die aktuelle Literatur, die die unterschiedlichen Hilfsmittel, die im Biofilmmanagement zum Einsatz kommen, vergleicht, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Reinigungsleistung: - Glycin- und Erythritol-Pulver zeigten im Vergleich zu anderen Pulvern geringste Schädigung (Defekttiefe und Defektvolumen) auf Schmelz und Dentin sowie keine Verletzungen an der Gingiva im Vergleich zu Natriumbikarbonat, Kalziumkarbonat und Küretten (Lit. Nr. 23) - Der Zementverlust im koronalen Wurzelbereich lag bei 35 % für Küretten, bei 16 % für Ultraschall, bei 20 % für Ultraschall und Air-Polishing mit Glycin-Pulver und bei nur 6 % für Air-Polishing mit Glycin-Pulver (Lit. Nr. 24) - Die größte Bakterienreduktion wurde mit Erythritol- Pulver erreicht, gefolgt von Ultraschall. Küretten zeigten die geringste Bakterienreduktion (Lit. Nr. 25, 26) - Die Anwendung von Erythritol-Pulver Airflow (EPAF) und Ultraschall führte zu geringerer und langsamerer, Wiederbesiedlung der Wurzeloberflächen durch Bakterien (Rekonolisation) als bei der Kürettenbehandlung (Lit. Nr. 25, 26)

Substanzverlust und Oberflächen-Rauheit: - Küretten zeigten den höchsten Substanzverlust und die größte Oberflächenrauigkeit, gefolgt von Ultraschall, bei EPAF waren der Substanzverlust und die Oberflächenrauigkeit am geringsten (Lit. Nr. 25, 26) - Ultraschall und EPAF zeigen das größte Attachement von parodontal-ligamentären Fibroblasten (PDL) (Lit. Nr. 25, 26)

Patientenkomfort: - Der Schmerz und die Missempfindung bei der nicht chirurgischen parodontalen Erhaltungstherapie ist geringer, wenn mit Air-Polishing (Glycin- und/oder Erythritol-Pulver) gearbeitet wurde als bei der Anwendung von Natriumbikarbonat, Ultraschallgeräten und Handinstrumenten (Lit. Nr. 27)

Das modifizierte, neue Ablaufprotokoll der Recallstunde (Guided Biofilm Therapy)

Die neuen Technologien und die aktuelle Literatur, die im letzten Kapitel durch einen kleinen Teilauszug aus der Gesamtliteratur dargestellt wurde, erfordern eine Änderung der klassischen Recallstunde nach Axelsson und Lindhe (Lit. Nr. 2, 3, 4,) hin zur „Guided Biofilm Therapy®“ (GBT®) (Lit. Nr. 28, 29, 30). Bei der GBT® handelt es sich um eine systematische, standardisierte, zielorientierte, qualitätsgesicherte Vorgehensweise. Nachträglich bestätigte auch die Arbeit von Haas et al. (Lit. Nr. 30), dass ein neues Behandlungsprotokoll erforderlich ist. Die wesentlichen Änderungen gegenüber dem alten Protokoll sind immer Anfärben, dann zuerst „Feinreinigung“ durch Entfernung von Biofilm und Verfärbungen mit Airflow®/Plus® und/oder Perioflow®/Plus®, dann erst erfolgt das gezielte Entfernen verbliebener harter Ablagerungen mit Ultraschall (PIEZON®/PS).

Praxisfazit

Durch neue Erkenntnisse zu den Ursachen von Zahnerkrankungen (Biofilm), durch neue Zielsetzungen und durch neue technische Entwicklungen (Hilfsmittel) ist es notwendig, auch die klassische „Recallstunde“ nach Axelsson und Lindhe mit Handinstrumenten und klassischer Politur nach fast 50 Jahren anzupassen. Wir sind heute in der Lage, ein professionelles Biofilmmanagement und die Entfernung von harten Ablagerungen effektiver, ohne Schmerzen, sicherer, schneller und komfortabler für Patienten und Behandler durchzuführen.

Eine Übersicht der verwendeten Literatur finden Sie unter www.nwd.de/aldente-literaturverzeichnis

 

Weitere Infos

E.M.S. Electro Medical Systems S.A. 
Tel.: +41 (0) 22 99 44 700 
welcome@ems-ch.com 
www.ems-ch.com 

Bilder und Text: ©gettyimages/gilaxia · E.M.S.